Der Ablauf eines Gerichtsprozesses und die Rechte der Beteiligten werden in den Prozessordnungen geregelt. Die Bestimmungen zum Zivilverfahren sind in der Eidgenössischen Zivilprozessordnung festgehalten. Dieses Gesetz, die ZPO, reguliert das Verfahren zur Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen – dazu gehören zum Beispiel Geldforderung oder andere Vertragsstreitigkeiten, familienrechtliche Klagen oder der Schutz der Persönlichkeit. Wer einen Anspruch gerichtlich durchsetzen möchte, ist gehalten, sich streng an diese Regeln zu halten, ansonsten der Verlust einer (an sich gerechtfertigten) Forderung drohen kann. Insofern kommt der Zivilprozessordnung eine erhebliche Bedeutung im Rechtsalltag zu. Formelle Fehler führen nicht selten zur Abweisung (oder zur Gutheissung) einer Klage.
Noch bis 2010 kannte jeder Kanton seine eigenen Regeln, die sich zum Teil erheblich voneinander unterschieden haben. Mit Inkraftsetzung der Eidgenössischen ZPO wurden die kantonalen Bestimmungen abgelöst und das Zivilprozessrecht schweizweit vereinheitlicht. Auf den 1. Januar 2025 ist eine revidierte Fassung der ZPO in Kraft getreten. Mit den neuen Regeln soll nach Aussagen des Bundesrates der Zugang zum Gericht erleichtert und die Rechtsdurchsetzung weiter verbessert werden.
In diesem Beitrag informieren wir Sie über die wichtigsten Neuerungen, die Rechtssuchende betreffen.
- Tiefere Kostenvorschüsse: Wer beim Gericht eine Klage anhängig macht, hat in der Regel einen Kostenvorschuss zu bezahlen, der die mutmasslichen Gerichtskosten deckt. Diese Regeln in der (alten) ZPO hatten zur Folge, dass die klagende Partei einstweilen das Prozessrisiko zu tragen hatte und erst im Endentscheid darüber befunden wurde, welcher Partei die Gerichtskosten auferlegt werden. Diese Regelung war immer wieder Anlass zur Kritik und erschwerte vor allem Personen mit Durchschnittseinkommen den Zugang zum Gericht, da sie aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in den Genuss einer unentgeltlichen Prozessführung kamen. Die revidierte ZPO etabliert den Grundsatz, dass von der klagenden Partei ein Kostenvorschuss von «höchstens der Hälfte der mutmasslichen Gerichtskosten» verlangt werden kann (Art. 98 ZPO). Vorbehalten bleiben Ausnahmen in Bezug auf spezielle Verfahren. In der Vernehmlassung haben sich übrigens diverse Kantone gegen die neuen Kostenregelungen gewehrt und darauf verwiesen, dass die Erhebung eines Kostenvorschusses bereits bisher als «Kann-Vorschrift» ausgestaltet gewesen sei und die Gerichte folglich berechtigt gewesen seien, auf einen Kostenvorschuss zu verzichten. Dieses Argument lässt jedoch unberücksichtigt, dass von dieser Möglichkeit kaum je Gebrauch gemacht wurde und die gesetzgeberische Ausnahmebestimmung in der Rechtspraxis faktisch toter Buchstabe blieb.
- Anpassung der Kostenregelung: Mit der bisherigen Kostenregelung wurde nicht selten die obsiegende Klagepartei benachteiligt, weil von ihr geleistete Kostenvorschüsse vom Gericht nicht zurückerstattet wurden. War die klagende Partei im Prozess erfolgreich, hatte sie die (zuvor vorgeschossenen) Kosten bei der Gegenpartei einzutreiben. War diese nicht solvent oder nicht zahlungswillig, blieb die Klägerseite oftmals auf den Kosten sitzen. Die revidierte ZPO sieht nun vor, dass geleistete Kostenvorschüsse der obsiegenden Klägerpartei zurückzuerstatten sind (Art. 111 ZPO). Das diesbezügliche Inkassorisiko trägt anstelle der Klägerpartei neu der Staat. Dies gilt jedoch nicht für Parteientschädigung, also Kosten für die anwaltliche Vertretung, die von der unterliegenden Partei zu tragen sind. Diese müssen nach wie vor bei der Gegenpartei direkt eingefordert werden.
- Ausbau des Schlichtungsverfahrens: Die Zivilprozessordnung sah bereits in ihrer ursprünglichen Form nach Massgabe des Grundsatzes «schlichten statt richten» ein sogenanntes Schlichtungsobligatorium vor. Vor Einleitung eines ordentlichen Gerichtsverfahrens kommt es zu einer Schlichtungsverhandlung (z.T. auch Sühne- oder Friedensrichterverhandlung genannt), deren Ziel es ist, die Parteien zu einem Vergleich zu bewegen. Gemäss Angaben des Bundesrates können auf diese Weise je nach Kanton fünfzig bis achtzig Prozent der Streitigkeiten erledigt werden, bevor es überhaupt zu einem ordentlichen Gerichtsverfahren kommt. Eine Ausnahme dieses Schlichtungsobligatoriums bestand bisher in Fällen, die von einer einzigen kantonalen Instanz beurteilt wurden, also etwa in wettbewerbs- und markenrechtlichen Streitigkeiten oder bei Zuständigkeit des Handelsgerichts. In der revidierten Zivilprozessordnung nimmt der Gesetzgeber einen Paradigmenwechsel vor, indem er auch in solchen Fällen ein vorgängiges Schlichtungsverfahren vorsieht, der Klagpartei aber gleichzeitig das Recht zugesteht, auf eine Schlichtung zu verzichten und direkt beim Gericht Klage einzureichen (Art. 199 Abs. 3 ZPO). Neu kommt den Schlichtungsbehörden das Recht zu, in Fällen mit einem Streitwert von bis zu 10’000 Franken einen sogenannten Urteilsvorschlag zu erlassen – bisher lag die Grenze bei 5’000 Franken. Lehnen die Parteien den Urteilsvorschlag des Gerichts nicht innert 20 Tagen ab, wird er zum Urteil.
- Internationalisierung des Prozessrechtes: Die revidierte Zivilprozessordnung räumt den Kantonen die Möglichkeit ein, ihre kantonalen Handelsgerichte in internationalen Handelsstreitigkeiten für zuständig zu erklären, was vor allem ausländischen Parteien zugutekommt, die bisher nicht ans Handelsgericht gelangen konnte, wenn sie nicht im hiesigen Handelsregister eingetragen waren (Art. 6 Abs. 4 lit. c ZPO). Obwohl die Zuständigkeit nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gegeben ist – so muss beispielsweise der Streitwert mindestens 100’000 Franken betragen und es müssen die Parteien der Zuständigkeit ausdrücklich zustimmen – erhofft sich der Gesetzgeber durch die Anpassung eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes. Dazu beitragen soll auch die Möglichkeit, Verfahren neu mit Zustimmung aller Parteien in englischer Sprache führen zu können, sofern der jeweilige Kanton diese Möglichkeit vorsieht (Art. 129 Abs. 2 lit. b ZPO). Es ist anzunehmen, dass insbesondere die international wichtigen Wirtschaftsstandorte Zürich und Genf von dieser Kompetenz Gebrauch machen werden.
- Gerichtliche Weiterleitungspflicht: Eine vor allem bei den Gerichten sehr umstrittene Änderung betrifft die neu eingeführte Pflicht der Gerichte, irrtümlich beim falschen Gericht eingereichte Eingaben an die zuständige Gerichtsbehörde weiterzuleiten (Art. 143 Abs. 1bis ZPO).
- Digitale Prozesse: Was während der Corona-Pandemie teilweise bereits praktiziert wurde, ist nun auch in der revidierten ZPO vorgesehen: die hybride oder vollständig elektronische Durchführung von Gerichtsverhandlungen. So kann das Gericht mündliche Prozesshandlungen «mittels elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung» – darunter fallen insbesondere Videokonferenzen – durchführen, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt und sämtliche Parteien damit einverstanden sind (Art. 141a ZPO). In der Praxis dürften sich insbesondere dann praktische und rechtliche Fragestellungen auftun, wenn eine elektronische Prozesshandlung nicht wie geplant durchgeführt werden kann. Wird eine Prozesshandlung von einer Partei nicht vorgenommen, gilt sie nach der Logik der ZPO als säumig, was ihr in einem Urteil zum Nachteil gereichen könnte. Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte mit Situationen umgehen, bei denen die Prozesshandlung aus (vermeintlich) technischen Gründen nicht vorgenommen werden kann.
Die neuen Bestimmungen gelten ab dem 1. Januar 2025. Haben Sie Fragen zur Prozessführung im Allgemeinen oder zu den neuen Bestimmungen des Zivilprozessrechtes im Besonderen stehen Ihnen die Experten von Wagner Prazeller Hug gerne zur Verfügung.