mpr; 19.09.2018
Das Bundesgericht hat sich jüngst mit der Weiterleitung von E-Mails mit persönlichkeitsrechtlichem Inhalt sowie der Haftung dafür beschäftigt. Dem Entscheid BGer 5A_753/2017 vom 18. Juli 2018 liegt ein Streit in einem Orden zugrunde. Dieser hat sich als Verein konstituiert. Ein Mitglied der Gemeinschaft verschickte eine E-Mail-Nachricht an andere Mitglieder des Ordens. Darin schwärzte er den Grosskanzler/Geschäftsführer des Ordens an und warf ihm unter anderem «intensive financial and legal blackmail» vor. Ausserdem bezeichnete er ihn als «crooks» (Gauner). Der Ex-Präsident des Vereins brachte diese E-Mail-Nachricht zwei Mitgliedern eines Vereins in den Niederlanden zur Kenntnis, in welchem der Schweizer Orden organisiert war. Diese beiden Mitglieder des niederländischen Ordens leiteten die E-Mail-Nachricht an Mitglieder ihres Vereins weiter.
Der Schweizer Orden und deren Geschäftsführer reichten daraufhin Klage ein wegen Persönlichkeitsverletzung gegen den Verfasser, den Ex-Präsidenten und den zwei Mitgliedern des niederländischen Vereins. Das Landgericht Uri hiess die Klage gegen den Verfasser und den Ex-Präsidenten des Vereins gut, nicht hingegen gegen die niederländischen Vereinsmitglieder. Die Kläger erhoben dagegen Berufung, welche das Obergericht Uri mit Entscheid vom 26. Juni 2017 guthiess. Das Obergericht stellte unter anderem fest, dass die Weiterleitung der E-Mail-Nachricht mit den Vorwürfen eine Persönlichkeitsverletzung darstellt. Dagegen erhoben die beiden niederländischen Vereinsmitglieder Beschwerde beim Bundesgericht. Erfolglos, wie sich nun zeigte.
Das Bundesgericht rief zunächst die rechtliche Grundlage in Erinnerung:
«Gemäss Art. 28 Abs. 1 ZGB kann derjenige, der in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen. Praxisgemäss wird in zwei Schritten geprüft, ob (1.) eine Persönlichkeitsverletzung und (2.) ein Rechtfertigungsgrund vorliegt […].»
Zur Frage, ob es sich bei der Weiterleitung von E-Mail-Nachrichten mit persönlichkeitsverletzendem Inhalt um eine Mitwirkung im Sinne von Art. 28 Abs. 1 ZGB, hatte sich das Bundesgericht aus verfahrensrechtlichen Gründen mehr zu äussern. Es erübrigen sich daher lange Ausführungen dazu. Gesagt sei hier nur: Der Mitwirkungsbegriff wird von der Rechtsprechung seit jeher sehr weit ausgelegt – ein Verschulden des Mitwirkers wird nicht verlangt. Es ist daher keine Überraschung, dass die Weiterleitung von persönlichkeitsverletzenden Aussagen in den Anwendungsbereich von Art. 28 Abs. 1 ZGB fällt. Oder um das bekannte Lehrbuchbeispiel zu bemühen: Wenn der Kioskverkäufer an der Verbreitung einer Persönlichkeitsverletzung in der Zeitung mitwirkt, tut es auch der (Weiter-)Verbreiter einer ehrverletzenden E-Mail-Nachricht.
Im aktuellen Fall hatte sich das Bundesgericht hingegen mit der Frage zu beschäftigen, ob die Persönlichkeitsverletzung (durch Weiterleiten der E-Mail-Nachricht) gerechtfertigt war. Art. 28 Abs. 2 ZGB sagt dazu:
«Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.»
Das (erstinstanzliche) Landgericht Uri hatte ein überwiegendes privates Interesse bejaht. Bei den niederländischen Vereinsmitgliedern habe es sich um den Präsidenten und den Sekretär des niederländischen Vereins gehandelt, welche die übrigen Mitglieder hätten informieren wollen. Die Weiterleitung der E-Mail-Nachricht sei im Vorfeld einer wegweisenden Mitgliederversammlung des niederländischen Vereins erfolgt und war daher gerechtfertigt, so das Landgericht.
Das Obergericht und nun auch das Bundesgericht folgten dieser Argumentation nicht. Das Bundesgericht schliesst zwar nicht aus, dass es zur Information der Mitglieder erforderlich gewesen ist, sie über den Streit im Schweizer Orden zu informieren. Wie das Obergericht vertritt aber auch das Bundesgericht die Ansicht, es bestehe kein überwiegendes privates Interesse an der Weiterleitung aller persönlichkeitsverletzenden Aussagen:
«Es ist indes nicht ersichtlich, inwiefern die Beschwerdeführer zur entsprechenden Information die "ungefilterte Weiterleitung" als E-Mail-Kette und damit die Persönlichkeitsverletzung einsetzen mussten. Das Obergericht hat erwogen, dass den Beschwerdeführern eine sachgerechte Information der niederländischen Vereinsmitglieder (über die Vorgänge auf internationaler Ebene) zumutbar und möglich gewesen wäre, indem sie die kritischen Worte und Wortverbindungen im Zusammenhang mit "Erpressung", "Terrorangriffe", "Kriminelle" etc. hätten schwärzen bzw. anpassen oder umformulieren und allenfalls auch noch in einem entsprechendem Begleitschreiben erklären und präzisieren können.» E. 3.3.3.
Nicht gelten lässt das Bundesgericht das Argument der Beschwerdeführer, eine «angepasste Information» wäre auf die Beeinflussung der Vereinsmitglieder hinausgelaufen. Auch die «unfiltrierte Weiterleitung» von E-Mail-Nachrichten könne beeinflussend wirken, so das Bundesgericht. Aus diesen Gründen sei der Entscheid der Vorinstanz nicht zu beanstanden.
Fazit: Das jüngste Urteil des Bundesgerichts zum Persönlichkeitsrecht birgt keine Überraschungen. Die Weiterleitung von E-Mail-Nachrichten mit persönlichkeitsverletzendem Inhalt stellt eine Mitwirkungshandlung dar und erfüllt den Tatbestand von Art. 28. Abs. 1 ZGB. Immerhin deutet das Bundesgericht an, wie der Problematik des (zu) starren Mitwirkungsbegriff in Art. 28 Abs. 1 ZGB auf Ebene der Rechtfertigung begegnet werden kann. Im vorliegenden Fall schliesst es nicht gänzlich aus, dass eine Weiterleitung von persönlichkeitsverletzenden Inhalten zulässig sein könnte, sofern die betreffenden Aussagen auf andere Weise als durch Schwärzungen oder Auslassungen eingeordnet werden.
Rechtfertigung durch Kontextualisierung von persönlichkeitsverletzenden Inhalten, könnte man das nennen. Das Urteil ist zu begrüssen. Auch im Sinne der Meinungsäusserungs- und Medienfreiheit.