Ohne Zahlung keine Strafe?

Die Strafverfolgungsbehörden können die Ermittlung von Ehrverletzungsdelikten neu von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig machen. Advokat Simon Walker hat sich den neuen Gesetzesartikel etwas genauer angeschaut.

Es war nie einfacher als heute, die eigene Meinung mit der Öffentlichkeit zu teilen: Mit nur einem Klick erreicht man über die sozialen Medien ein grosses Publikum. Wer selbst in den sozialen Medien aktiv ist, weiss jedoch, dass die geführten Debatten mitunter hitzig werden und teilweise leider auch den Boden des rechtlich Zulässigen verlassen können.

Das spürt auch die Justiz: Die Strafverfolgungsbehörden müssen sich mit einer Vielzahl an Ehrverletzungsdelikten auseinandersetzen. Unter die Ehrverletzungsdelikte fallen die Beschimpfung, die üble Nachrede sowie Verleumdung.

Die Justiz solle entlastet werden

Mit der am 1. Januar 2024 in Kraft getretenen Revision der Strafprozessordnung wird der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit eingeräumt, bei Ehrverletzungsdelikten von der antragstellenden Person die Leistung einer Sicherheit für allfällige Kosten und Entschädigungen zu verlangen. Wird die Sicherheit nicht innert der angesetzten Frist geleistet, gilt der Strafantrag als zurückgezogen. Das Verfahren ist damit beendet.

In der bundesrätlichen Botschaft zur Gesetzesanpassung wird diese Neuerung damit begründet, dass die Anzeige von Ehrverletzungsdelikten oftmals vom Wunsch der persönlichen Vergeltung angetrieben ist und die Rechtsgutverletzung in den Hintergrund tritt. Stehen solche Motive für eine Anzeige im Vordergrund, so der Bundesrat, rechtfertige es sich, einen Vorschuss zu verlangen, bevor die Strafverfolgung in Gang gesetzt wird. Diese Anpassung, so die Hoffnung des Gesetzgebers, wird zu einer Entlastung des Justizapparats beitragen.

Schauen wir uns die Gesetzesbestimmung etwas genauer an. Sie lautet:

Art. 303 StPO (Sicherheitsleistung bei Ehrverletzungsdelikten)

1 Bei Ehrverletzungsdelikten kann die Staatsanwaltschaft die antragstellende Person auffordern, innert einer Frist für allfällige Kosten und Entschädigungen eine Sicherheit zu leisten.

2 Wird die Sicherheit nicht fristgerecht geleistet, so gilt der Strafantrag als zurückgezogen.

Der Gesetzesartikel ist als «Kann-Bestimmung» formuliert. Ob und in welcher Höhe eine Sicherheitsleistung verlangt wird, entscheidet die zuständige Staatsanwaltschaft – der Entscheid hängt von Ermessen der Ermittlerinnen bzw. Ermittler ab. Die Botschaft weist darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft bei der Beurteilung dieser Frage die Bedeutung der Sache und die finanzielle Situation der antragstellenden Person zu berücksichtigen hat.

Das Verfahren ohne Kostenvorschuss im Zivilrecht als «rechtlicher Exot»

Ein kurzer Exkurs in das Zivilrecht – die Verpflichtung zur Leistung eines Kostenvorschusses ist dort ebenfalls eine Kann-Bestimmung – zeigt, dass das Erheben von (Kosten-)Vorschüssen im Zivilverfahren längst zur Usanz geworden ist. Ein Zivilverfahren ohne Kostenvorschuss ist gewissermassen ein «rechtlicher Exot» und gehört im «Verfahrensdschungel» zu den ausgestorbenen Arten.

Der Staatsanwaltschaft wird mit der Möglichkeit, eine Sicherheitsleistung bei Ehrverletzungsdelikten zu verlangen, ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt, der unweigerlich zu einer grossen Verantwortung führt: Die Staatsanwaltschaft wird im Einzelfall sorgfältig zu beurteilen haben, ob sich das Verlangen einer Sicherheitsleistung rechtfertigt und in welchen Fällen davon abzusehen ist.

Problematik der Befangenheit

Naturgemäss wird sich die Staatsanwaltschaft zumindest summarisch vorgängig mit dem angezeigten Sachverhalt auseinanderzusetzen haben, um die Bedeutung der Sache überhaupt beurteilen zu können. Dies führt zur Frage, ob die Erhebung der Sicherheitsleistung allenfalls geeignet ist, den Anschein einer Vorbefassung hervorzurufen. Dies insbesondere, weil – im Gegensatz zum Kostenvorschuss im Zivilverfahren – bei der Beurteilung der Erhebung einer Sicherheitsleistung gemäss Botschaft nicht nur auf die Leistungsfähigkeit der strafantragstellenden Person abzustellen ist, sondern explizit auch die Bedeutung des Falls und damit materielle Kriterien zu berücksichtigen sind.

Mit grossem Ermessen kommt grosse Verantwortung

Es wird interessant zu beobachten sein, von welchen Gesichtspunkten sich die Staatsanwaltschaft bei der Festlegung der Sicherheitsleistung leiten lassen wird. Es obliegt der Staatsanwaltschaft, dafür Sorge zu tragen, dass die Sicherheitsleistung bei den Ehrverletzungsdelikten nicht im Namen der Effizienz und Entlastung der Justiz zur Norm wird, sondern eine Kann-Bestimmung bleibt, die einzelfallabhängig anzuwenden ist.